Liebe Schwestern und Brüder,

mehr als eine Woche ist es schon her, dass das Corona-Virus das Leben, wie wir es kannten, verändert hat. Für mich ist das Grund genug zurückzublicken und die vergangene Zeit zu reflektieren. Ich lade Sie/Euch ebenso dazu ein. Eine Perle dieser Reflexion will ich an dieser Stelle mit Ihnen/Euch teilen.

Papst Franziskus hat alle Christen ermutigt das Evangelium des letzten Sonntags (Joh 9, 1-41) oft zu lesen und zu betrachten. Es berichtet von einem blind geborenen Mann, der von Jesus das Augenlicht geschenkt bekommt, und seinen Auseinandersetzungen mit den Nachbarn und Pharisäern. Die Pharisäer löchern den Geheilten dabei mit vielen Fragen und geben unmissverständlich zum Ausdruck, dass diese Heilung unvereinbar mit ihrem Wissen über Gott und die Welt ist.

Der Geheilte kann den Fragen und Anschuldigungen nur das entgegenhalten, was faktisch passiert und dass er der blind geborene Mann ist, aber die Fragen nach dem Wie und Warum bleiben unbeantwortet. Schließlich wird der Geheilte ausgestoßen und es entsteht eine Spaltung in der Gemeinde.

Sehen - Blindheit

Die Welt mit Corona ist eine andere Welt als zuvor. Für mich ist die Wahrnehmung von geschlossenen Restaurants und Geschäften, sowie von Schlangen wartender Menschen vor einer Bäckerei oder die Ruhe, die nur von Vögeln durchbrochen wird, neu. Erkenne ich noch die alte Welt in neuer Form oder geht es mir wie den Pharisäern, die mit Blindheit geschlagen sind und schlichtweg leugnen würden, dass das dieselbe Welt ist, die wir zuvor schon kannten.

Wissen - Unwissen

Die Pharisäer meinen genau zu wissen, wie ein Leben nach den Geboten Gottes funktioniere. Wir alle wissen ebenfalls, wie wir zu leben haben: Wir begrüßen uns natürlich per Handschlag, Umarmung oder Küsschen, wir kennen unser Lieblingsrestaurants, wir wissen, wie viel Abstand beim Gespräch mit Menschen einzuhalten ist, bevor es unangenehm wird, wir haben feste Vorstellungen darüber, wie wir unsere Freizeit gestalten, … . Mir geht es wie den Pharisäern: Corona passt nicht zu meinem Leben. Alles, was ich im Laufe meines Lebens gelernt habe, muss überdacht beziehungsweise vergessen werden. Geblieben ist Unwissenheit, wie sich unser Leben so verändern konnte. Die Frage nach dem Warum (oder entscheidender nach dem Wozu) der Corona-Krise stelle ich mir oft, aber wie auch den Pharisäern wird mir diese Frage nicht beantwortet.

Spaltung - Zusammenhalt

Die Heilung des Blinden führte zur Spaltung der Gemeinde. In einem gewissen Sinne führt etwas Positives (die Heilung) zu Streit und Zwietracht unter den Menschen. In unserer Gesellschaft ist es genau umgekehrt: hier führt die Corona-Krise zu einem stärkeren Zusammenhalt über soziale Grenzen und Altersstufen hinweg. Die Solidarität mit den älteren Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und mit denen, die nicht nur befürchten ihre Arbeit zu verlieren, sondern sogar ihren Beruf für längere Zeit nicht mehr ausüben dürfen, demonstriert die Gemeinschaft, die wir untereinander haben. Jedes menschliche Leben ist schützens- und rettenswert.

Abschließend, liebe Geschwister im Herrn, wünsche ich uns, dass Gott uns noch erreicht, wir sein Wort hören oder lesen und wir die Gegenwart des nah bei uns seienden Herrn, Jesus Christus, in unserem Leben spüren. Dieses Evangelium ist fast 2000 Jahre alt und die aktuelle Leseordnung der katholischen Kirche ist etwa 50 Jahre alt, trotzdem schafft Gott es heute, uns durch sein Wort anzusprechen und – wie oben beschrieben – mir den Spiegel in der aktuellen Situation vorzuhalten.

Gottes Segen und bleiben Sie/bleibt Ihr gesund,

Thomas Armborst